Gedankengesteuerte Prothesen

Verfasst von Klaus

Die Geschichte der Prothetik

Die Amputation einer Gliedmaße ist eine der ältesten und schwerwiegendsten Eingriffe der Chirurgie. In der Mittelsteinzeit gibt es erste Nachweise in Form von Höhlenmalereien, die Amputationen dokumentieren. Die Ägypter waren die ersten, die versuchten, die abgetrennten Gliedmaßen durch Prothesen zu ersetzen. Bei einer Ägypterin, die zwischen 1065 und 650 vor Christus gelebt haben muss, wurde eine kunstvoll geschnitzte Holzprothese an Stelle ihres amputierten Zehs gefunden (Siehe Abbildung 1). In der Antike wurden zum ersten Mal Beinprothesen aus Bronze verwendet, wie den aus der Zeit um 300 vor Christus stammenden „Stelzfuß von Cupa“. Im Mittelalter gab es erste Bemühungen, starre Prothesen durch Federn und Fäden beweglich zu machen. Der Londoner Prothetiker James Pott entwarf 1800 ein hölzernes Bein, bei dem sich die Zehen bewegen ließen. Trotzdem stellten einfache Holzprothesen bis Mitte des 19. Jahrhunderts den üblichen Ersatz für abgetrennte Gliedmaßen dar. Durch die vielen Verletzten im ersten Weltkrieg wurden die Forschungen auf diesem Gebiet stark angetrieben. Ein Durchbruch gelang dem Arzt Ferdinand Sauerbruch im Juli 1917, indem er eine Armprothese entwickelte, die sich durch natürliche Muskelbewegungen steuern ließe. Während des zweiten Weltkriegs stieg der Bedarf an funktionellen Prothesen erneut. Greiffunktionen in Armprothesen erlaubten es den Patienten wieder eine Arbeit aufzunehmen. Kleine Gelenke, welche durch Elektromotoren gesteuert wurden, machten die Prothesen gelenkig.[2] Moderne Prothesen gehen mittlerweile weit über einfaches Öffnen und Schließen der Hand hinaus. Myoelektronische Prothesen sind heute gängige Ersatzteile für amputierte Patienten und vereinen Funktionalität mit kosmetischen Ansprüchen.

Ägyptische Zehprothese

Abbildung 1: Zehprothese einer Ägypterin [1]

Gedankengesteuerte Armprothese

Gedankengesteuerte Prothesen verschieben den Schwerpunkt von der reinen Ästhetik einer Prothese zur Funktionalität. Mit der Verschmelzung biologischer und technischer Eigenschaften beschäftigt sich, vor allem im komplexen Bereich der Handprothetik, die Bionik. Die erste gedankengesteuerte Prothese wurde 2007 in Wien, durch das deutsche Medizintechnik-Unternehmen Ottobock, der Öffentlichkeit präsentiert. Die Armprothese besaß sieben Gelenke und es konnten schon viele Bewegungen von der Schulter bis zur Hand durch Gedankenkraft gesteuert werden. Bisher wurde aber nur bei wenigen Patienten eine gedankengesteuerte Prothese operativ eingesetzt. Die Serienfertigung in diesem Bereich ist zurzeit noch ein Fernziel.[3]

Abbildung 2: Modell einer gedankengesteuerten Armprothese von Ottobock[10]

2010 präsentierte das Unternehmen Otto Bock eine Weiterentwicklung der gedankengesteuerten Prothese, mit der der Weg vom Prototyp zur Alltagsprothese begangen werden soll. Diese Prothese wird gezielt durch Nerven gesteuert, die den amputierten Arm zuvor gesteuert haben. Diese Neuerung ermöglicht es dem Patienten, die Prothese intuitiv zu nutzen. Ein Erlernen der Bewegungsabläufe, wie bei herkömmlichen myoelektronischen Prothesen, entfällt dadurch. Einzige Voraussetzung für den Patienten ist es, dass die Armnerven nach der Amputation des Armes bis zur Amputationsstelle intakt sind. Durch TMR (Targeted Muscle Reinnervation) werden die motorischen Nervreste im Amputationsstumpf für die gedankengesteuerte Prothese genutzt. Diese Armnerven werden dann durch einen chirurgischen Eingriff auf die Brustmuskulatur umgeleitet. Ist der mehrmonatige Heilungsprozess nach der Operation erfolgreich geglückt, dient die Oberfläche des Brustkorbs als eine Art Schnittstelle zum menschlichen Gehirn. Die Impulse, die durch die Nerven an die Brustmuskulatur geleitet werden, können anschließend mit Hilfe von Oberflächenelektroden abgegriffen und an Mikrokontroller sowie Microcomputer in der Prothese weitergeleitet werden. Das Ganze geschieht in Echtzeit, weshalb die gedachten und im Brustmuskel umgesetzten Bewegungen eins zu eins an die Prothese zur Ausführung übertragen.[4]

Gedankengesteuerte Beinprothese

Auch in der Beinprothetik gibt es erste Erfolge mit gedankengesteuerten Prothesen. Zac Vawter verlor sein rechtes Bein bei einem Motorradunfall vor viereinhalb Jahren. Er ist der erste Patient an dem ein gedankengesteuertes Bein im Oktober 2012 getestet wurde. Vorangetrieben wird die Forschung durch eine Zusammenarbeit des U.S. Militärs und des Rehabilitation Institute of Chicago. Das Prinzip ähnelt dabei der gedankengesteuerten Handprothese von Ottobock. Auch hier werden vorhandene Nerven genutzt, um sie in die Oberschenkelmuskulatur umzuleiten. Durch Elektroden auf der Haut am Oberschenkel werden die Impulse abgegriffen und an die Prothese übertragen. Der Erfolg spricht für sich und Vawter ist begeistert von der neuen Freiheit, die ihm seine moderne Prothese bietet: „Mit meinem mechanischen Bein bewege ich beim Treppensteigen immer zuerst mein gesundes Bein und ich ziehe einfach meine Beinprothese hinterher. Mit dem bionischen Bein aber gehe ich Schritt für Schritt. Das bionische Bein hört auf verschiedene Signale meiner Nerven und reagiert in einer viel natürlicheren Art und Weise.“[5] Wie gut er sich mit der Prothese arrangiert zeigt Vawter im November 2012, als er mit bionischer Beinprothese den 103. stöckigen Willis Tower in Chicago im Rahmen einer karikativen Veranstaltung zu Fuß erklimmt.[6]

Zac Vawter mit bionischem Bein

Abbildung 3: Zac Vawter mit seiner bionischen Beinprothese [11]

Bei allen bisher eingesetzten gedankengesteuerten Prothesen handelt es sich noch um Prototypen. Bei Zac Vawters bionischem Bein rechnen die Forscher mit einer Serienfertigung in etwa drei bis fünf Jahren. Die Fehlerrate in der Software sei zwar sehr gering, müsse aber noch deutlich sinken, um einen plötzlichen Sturz des Patienten mit schwerwiegenden Folgen zu verhindern. Außerdem sei die Entwicklung einer gedankengesteuerten Beinprothese laut Levi Hargrove, Leiter der Forschung am RIC, weitaus aufwändiger, als eine Armprothese. Die eingesetzten Motoren müssen stark genug sein, aber gleichzeitig auch sehr klein, um in der Prothese verbaut werden zu können. Zurzeit wird in diesem Zusammenhang an einer leichteren und leiseren Version der Prothese gearbeitet. Ein weiteres Ziel ist, laut Levi, die Kosten für das Endprodukt so gering wie möglich zu halten. In enger Zusammenarbeit mit der Industrie sollen, wenn immer möglich, günstige Komponenten verbaut werden. Zu einem Preis des Endproduktes könne er sich aber bisher nicht äußern. Vergleichspreise für Armprothesen liegen derzeit in einer Spanne von 20.000 bis 120.000 US-Dollar. Ein besonderes Interesse an der Forschung zeigt das amerikanische Militär. Das U.S. Army’s Telemedicine and Advanced Technology Research Center unterstützt die Forschungen in Chicago mit rund 8 Millionen US-Dollar.[7]

Nutzen für die Patienten

Zac Vawter und auch andere Patienten sehen in ihren gedankengesteuerten Prothesen kaum geahnte Möglichkeiten. Eine erneute Integration in ein normales Alltagsleben scheint ihnen wesentlich einfacher zu fallen. Von allen bisher behandelten Patienten wird die einfache und schnelle Handhabung nach geglückter Operation gelobt. Die neue Prothese kann intuitiv bedient und bewegt werden. Forscher und Mediziner sehen aber noch einen weiteren großen Vorteil in diesen neuartigen Ersatzteilen. Nach einer Amputation klagen Betroffene oft über sogenannte Phantomschmerzen. Das Gehirn braucht eine Weile, bis es das fehlen des Gliedes korrekt verarbeitet. Bereits normale Prothesen halfen, diesen Prozess zu beschleunigen. Forscher der Chalmers University of Technology in Göteborg sind sich sicher, dass durch die direkte Verbindung zwischen Gehirn und Prothese Phantomschmerzen noch schneller der Vergangenheit angehören werden. Durch die intuitive Nutzung gehen die Göteborger davon aus, dass im Gehirn effektiver neue Strukturen aufgebaut werden können.[8]

Fazit

Einen Blick in die Zukunft zu wagen, fällt im Bereich der gedankengesteuerten Prothesen schwierig. Gedankengesteuerte Prothesen sind die Zukunft der Prothetik. Sie sind, wie angesprochen, noch Prototypen, die zunehmend von verschiedensten Institutionen auf der ganzen Welt getestet werden. Es wird mit Hochdruck an einer serienmäßigen Fertigung gearbeitet. Der Begriff Prothese scheint indes veraltet zu sein. Daniel Pötzsch von INGENEUR360 spricht daher in seinem Artikel von „halb robotischer Feinmechanik“.[9]


Literatur

  • [1] http://www.myhandicap.de/dossiere-amputation-geschichte.html Letzter Zugriff: 16.11.2013
  • [2] vgl. http://sprechende-medizin.com/2013/01/14/kriege-treiben-den-fortschritt/ Letzter Zugriff: 16.11.2013
  • [3] vgl. http://www.welt.de/gesundheit/article114267199/Erste-Prototypen-gedankengesteuerter-Prothesen.html Letzter Zugriff: 16.11.2013
  • [4] vgl. http://www.ottobock.de/cps/rde/xbcr/ob_de_de/Wie_funktioniert_eine_gedankengesteuerte_Prothese.pdf Letzter Zugriff: 16.11.2013
  • [5] Zac Vawter, http://www.nbcnews.com/health/first-mind-controlled-bionic-leg-groundbreaking-advance-8C11257732 Letzter Zugriff: 16.11.2013
  • [6] vgl. http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/zac-vawter-mit-bionischer-beinprothese-auf-den-willis-tower-chicago-a-865288.html Letzter Zugriff: 16.11.2013
  • [7] vgl. http://www.nbcnews.com/health/first-mind-controlled-bionic-leg-groundbreaking-advance-8C11257732
  • [8] vgl. http://www.ingenieur360.de/forschung-entwicklung/gedankengesteuerte-prothesen-im-labortest-erfolgreich/ Letzter Zugriff: 16.11.2013
  • [9] Daniel Pötzsch, http://www.ingenieur360.de/forschung-entwicklung/gedankengesteuerte-prothesen-im-labortest-erfolgreich/ Letzter Zugriff: 16.11.2013
  • [10] Ars Electronica, http://www.flickr.com/photos/arselectronica/5516670597/sizes/o/in/photostream/ Letzter Zugriff: 17.11.2013
  • [11] Army Medicine, http://www.flickr.com/photos/armymedicine/9967397743/sizes/o/in/photostream/ Letzter Zugriff: 17.11.2013