CIA-Waffendepots in Oesterreich

ÖSTERREICH

CIA-Waffenlager und mehr
------------------------

Es ist der Stoff, aus dem die Thriller sind: geheime Waffenlager, schwarze Listen, konspirative Treffs, undurchsichtig-durchsichtige Codes. Diesmal aber ist es Realität. Fünf Jahre, nachdem Gladio ins Gerede gekommen ist, bestätigt die US-Regierung offiziell, daß im neutralen Österreich 79 geheime Waffenverstecke existieren, die angelegt wurden, um den Widerstand gegen eine eventuelle kommunistische Machtergreifung zu ermöglichen. Nun machen sich österreichische Behörden und US-Geheimdienstler auf die Suche nach den vergrabenen Schätzen. Vielleicht werden bei der Exhumierung der Kalten-Kriegs-Relikte auch ein paar Geheimnisse der jüngeren Geschichte ausgebuddelt?

von Paul Mazurka

Die ehrenwerten Mitglieder der "Commissione terrorismo e stragi" des italienischen Senats staunten nicht schlecht in jenem Herbst 1990, als ihnen ein Schriftsatz des damaligen christdemokratischen Premiers Giulio Andreotti zugestellt wurde. Jahrelang hatte sich die Kommission mit den zwielichtigen Umtrieben der militärischen Geheimdienste SIFAR, SID und SISMI beschäftigt, die alle in eine Richtung wiesen: Unterstützung neofaschistischer Attentate und Mitbeteiligung oder Mitwisserschaft der geheimen Dienste an mehr oder minder professionellen rechtsradikalen Putschplänen. Ende 1989 hatte SID-General Enzo Notarnicola bei einer Befragung durch Staatsanwalt Felice Casson durchblicken lassen, daß nicht einmal er alles über die klandestinen Aktivitäten im Lande wisse - es gäbe da mysteriöse "Parallelstrukturen" ... Also wurde der Hebel ganz oben angesetzt, bei Giulio Andreotti, der sich allerdings wenig kooperationsbereit zeigte.
In besagter Erklärung vom 17. Oktober 1990 jedoch plauderte der Premier aus der Schule: Seit langem bestehe eine Geheimorganisation namens "Gladio", deren einziges Ziel es sei, im Falle einer sowjetischen Invasion oder einer kommunistischen Machtergreifung den Partisanenkrieg zu beginnen. Dazu seien Waffenverstecke angelegt und nur "erprobte Verfassungsverteidiger" in die Pläne eingeweiht worden. Nicht einmal alle Regierungsmitglieder oder Geheimdienstchefs seien informiert gewesen.
Zufall oder nicht - Andreottis coming-out fiel mit einem brisanten Fund in einer Mailänder Villa zusammen. In einem Versteck der Roten Brigaden waren Briefe und Dokumente des im März 1978 entführten und später ermordeten Aldo Moro gefunden worden, in denen er bitter mit seinem "Parteifreund" Giulio abrechnete und gleichfalls Andeutungen auf die ominösen "Parallelstrukturen" gemacht hatte.
Obwohl einige ausländische Korrespondenten eine große Story witterten, verhielten sich die ausländischen Medien zunächst zurückhaltend. Wieder einmal typisch italienischer Polit- Theaterdonner. Das Tempo der Krise verschärfte sich, als Andreotti am 24. Oktober 1990 vor dem römischen Parlament verkündete, jeder vorhergehende Regierungschef sei über Gladio informiert gewesen. Die Folge waren teils peinlich gewundene Erklärungen wie jene des Sozialdemokraten Bettino Craxi oder des DC-Granden Forlani. Andere, wie der Republikanische Senatspräsident Spadolini, bekamen plötzlich unerklärliche Anfälle von Gedächtnisschwund.

EUROPAWEITES FURIOSO

Und dann weitete sich die Gladio-Affäre plötzlich zum gesamteuropäischen Geheimdienstskandal aus. Am 30. Oktober 1990 erklärte der ehemalige griechische Premierminister Papandreou, daß er 1984 Beweise für die Existenz eines Geheimbundes mit dem poetischen Namen "Haut des roten Bockes" erhalten habe, der genauso strukturiert gewesen sei wie Gladio in Italien. Er selbst habe die Auflösung angeordnet, doch seien vier Jahre verstrichen, bis das geheimnisvolle Netz entflochten worden sei. Neun Tage später erklärte ein sichtlich empörter belgischer Verteidigungsminister, auch er sei auf eine analoge Geheimarmee gestoßen - aus offensichtlichem Mangel an Phantasie der Hintermänner hätte die Organisation "Glaive", also ebenfalls "Schwert", geheißen.
Zwar konnte man langsam die Konturen einer NATO-weiten Strategie erkennen - daß aber auch die skandinavischen Länder und die Neutralen (Schweiz und Österreich) ins Gladio-Operationsnetz eingebunden waren, sorgte denn doch für gehöriges Medienecho. Aber erstaunlich schnell geriet das Thema wieder in Vergessenheit ...

"... EINEN KOMMUNISTISCHEN WAHLSIEG VERHINDERN ..."

Begonnen hatte alles mit NSC 4/A - auf gut deutsch: der Richtlinie 4 des National Security Council der USA vom 19. Dezember 1947. Der Direktor der eben erst gegründeten CIA erhielt damit die Weisung, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln einem "kommunistischen Wahlsieg in Italien" entgegenzuwirken. Schon drei Tage später wurde die Special Procedures Group ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe: Bei den für 18. April 1948 geplanten Parlamentswahlen in Italien eine linke Regierungsbeteiligung - also auch die der Sozialisten - "even at the risk of civil war" (sogar um den Preis eines Bürgerkriegs) zu verhindern. Während die Christdemokraten mit Geld und technischen Hilfsmitteln ausgestattet wurden, begannen die CIA-Strategen bereits weitergehende Pläne zu entwickeln, die in ihrer Substanz alle Ingredienzen der späteren Gladio-Netze enthielten, wie die Vorbereitung auf Sabotageakte in Europa für den Fall der "kommunistischen Machtergreifung" oder die Auswahl verläßlicher und möglichst praktisch erfahrener antikommunistischer Kämpfer - was in vielen Ländern bedeutete, daß "Spezialisten" der faschistischen und nationalsozialistischen Geheimdienste und Privatarmeen im Schnellwäscheverfahren zu Demokraten umgemodelt wurden, um auf ihr einschlägiges Know-How zurückgreifen zu können.
So wurde etwa bereits 1950 in Deutschland der "Bund Deutscher Jugend" initiiert. Die nach außen honorig auftretende Organisation, die über reichliche Geldmittel verfügte, bereitete sich in Wahrheit auf den "Tag X" vor, den mit Sicherheit zu erwartenden apokalyptischen Tag der kommunistischen Machtergreifung. Mit amerikanischen Dollars konnten erfahrene SS-Kämpen und unentwegte HJ-Nostalgiker ihre alten Werwolf-Träume realisieren.
Der amerikanische Alptraum vom sowjetischen Expansionismus war kein Zufall, aber dennoch unbegründet. Bereits unmittelbar nach Ende des 2. Weltkrieges wurden die ersten "rollback-Strategien" entwickelt, die durch die Bedürfnisse der Rüstungswirtschaft und der rivalisierenden Oberkommandos der US-Teilstreitkräfte immer gigantomanischer wurden. Dazu gehörte übrigens auch ein permanenter Falschmeldungskrieg der zivilen und militärischen Geheimdienste gegeneinander, die wechselseitig mit Bedrohungsszenarien operierten, die ihrer jeweiligen Klientel Rüstungsaufträge sichern sollten. So wurden im vollen Wissen die amerikanischen Präsidenten mit übertriebenen Angaben über die Stärke der Ostblockarmeen gefüttert, um das Geschäft am Laufen zu halten.
Zugleich konnte man durch diese Horrorphantasien aber auch die europäischen Verbündeten auf einen stramm antikommunistischen Kurs festlegen (wobei die Definition der US-"Experten", was denn nun kommunistisch sei, recht flexibel ausfiel und durchaus auf sozialdemokratische Bewegungen ausgedehnt werden konnte).

"KOMMUNISTENPUTSCH" IN ÖSTERREICH

Gerade Österreich ist ein Beispiel, wie gut das Zusammenspiel zwischen rechten Sozialdemokraten und amerikanischen Regierungskreisen funktionieren konnte. Die SPÖ war 1945, unmittelbar nach dem Sturz der Nazi-Diktatur, gegründet worden und verkörperte zwei sehr unterschiedliche sozialistische Traditionsstränge. Da waren zunächst die Revolutionären Sozialisten, die nach dem fehlgeschlagenen Kampf gegen die Errichtung der austrofaschistischen Diktatur im Februar 1934 in den Untergrund gegangen waren und sich als gesellschaftsverändernde, radikal-sozialistische Kader verstanden. Den zweiten Flügel bildeten jene Sozialdemokraten, die die aufeinanderfolgenden austrofaschistischen und nazistischen Diktaturen übertaucht hatten und sich in der Tradition des alten reformistischen Geistes der Partei sahen.
Ohne Übertreibung kann man von einem Richtungskampf in der frühen SP sprechen, der erst 1948 mit der Marginalisierung der Revolutionären Sozialisten endete.
Über die amerikanischen Gewerkschaften, vor allem die AFL, wurden massiv US-Gelder in die Gewerkschaft hineingepumpt, sozialdemokratische (Jugend)Funktionäre nach Amerika eingeladen und sukzessive eine dezidiert pro-amerikanische Strömung in der SPÖ aufgebaut. Wesentlich erleichtert wurde das durch die abschreckenden Erfahrungen vieler österreichischer Arbeiterinnen und Arbeiter mit der sowjetischen Besatzungsmacht und der nicht gerade vertrauenserweckenden Politik der KPÖ, die ihren Stalinismus mit Stolz vor sich hertrug.
Als es im Oktober 1950 zu einer spontanen Streikwelle gegen das vierte Lohn-Preis-Abkommen kam, durch das die Löhne eingefroren und die Lebensmittelpreise radikal erhöht werden sollten, kam es binnen Tagen zu einer Eskalation. Die KP-GewerkschafterInnen waren von der Rasanz der Bewegung zumindest ebenso überrascht wie ihre sozialdemokratischen KollegInnen. Plötzlich wurden sie aber von allen Seiten als Drahtzieher des Streiks attackiert - was eine gewaltige Überschätzung des Einflusses der Mini-Partei war. Mit amerikanischer Hilfe machte der Bau-Holz-Gewerkschafter Franz Olah kurzen Prozeß mit der Streikbewegung. Die US- Besatzungsmacht stellte LKWs und Kommunikationsmittel zur Verfügung, finanzielle Zuwendungen der "Freunde" ermöglichten das Aufstellen von Rollkommandos, die die Streikenden zurück in die Betriebe prügelten. Die rechte SP- Führung warf bei den letzten Betriebsrätekonferenzen vor Streikabbruch ihr ganzes Gewicht in die Waagschale, um den Arbeitskampf auch politisch zu brechen. Erst Ende der 70er Jahre wurde auch in den gewerkschaftsoffiziellen Publikationen die Mär vom Oktoberstreik als "Kommunistenputsch" ad acta gelegt.
Das war der Beginn einer wundervollen Freundschaft. Olah machte Karriere, stieg zum Vorsitzenden des Österreichischen Gewerkschaftsbundes und zum Innenminister auf und blieb einer der wichtigsten Vertrauensleute der US-Geheimdienste in Österreich. Die Reste seiner Schutztruppe wurden unter dem beschaulichen Namen "Wander-, Sport- und Geselligkeitsverein" zusammengefaßt und in paramilitärischen Übungen trainiert.

"DIE REGIERUNG WAR INFORMIERT"

Als nun Ende Januar durch die US-Botschafterin in Wien bekanntgegeben wurde, daß die amerikanischen Geheimdienste 79 Waffen- und Sprengstoffverstecke in Österreich angelegt hatten, konnte bei politisch Interessierten höchstens die genaue Zahl Erstaunen auslösen.
Schon 1990 waren Franz Olah und der international bekannte Verleger Fritz Molden im Zusammenhang mit Gladio von Journalisten befragt worden - beide ehrenwerten Herren allerdings zeigten sich höchst zugeknöpft. Nun hat Molden allerdings sein Schweigen gebrochen. Neuerlich auf die Waffendepots für den antikommunistischen Kampf angesprochen, erklärte er dem ORF: "Das war eine österreichische Initiative, und ich war daran selbst beteiligt. Und natürlich hat die österreichische Regierung davon gewußt - ich selbst habe mit Bundeskanzler Leopold Figl und dem Staatssekretär und späteren Verteidigungsminister Ferdinand Graf gesprochen".
Genau hier aber liegt die Crux der Affäre - und zwar nicht nur in Österreich, sondern europaweit, überall dort, wo Gladio-Netze bestanden oder noch bestehen. Nicht einmal der rustikalste Geheimdienst vergräbt auf gut Glück irgendwo in Feld und Flur Waffen und Sprengstoff, ohne sich die Frage zu stellen, wer sie denn irgendwann einmal ausbuddeln werde. Das heißt - es muß über einen langen Zeitraum konspirative Kommandoketten gegeben haben, die jedoch nicht vollends ohne staatliche Deckung auskommen konnten. Beispielsweise wurden in Österreich 1972 und 1983 von Wanderern bzw. Kindern durch Zufall mysteriöse Waffenverstecke gefunden - sämtliches gefundenes Material deutete in Richtung USA. Die Ermittlungen wurden in beiden Fällen unauffällig eingestellt ...

NEUTRALITÄT ZUR DISPOSITION

Die Erklärung, daß bei einer routinemäßigen Durchsicht der amerikanischen Geheimdienstunterlagen Dokumente über die "vergessenen Waffenlager" in Österreich aufgetaucht sind, mag stimmen - beruhigend ist sie nicht. Wo in Europa haben die findigen Herrschaften aus Langley (dem CIA-Hauptquartier) denn noch ein paar MGs und Granatwerfer vergessen? Wer hat sich in den vergangenen Jahren aus dem Supermarkt des Kalten Kriegs bedient?
Brisant ist für Österreich aber auch, daß durch die jüngsten Enthüllungen de facto die Neutralität zur Disposition gestellt worden ist. In einer geänderten politischen Szenerie in Europa, in der die Sowjetunion, immerhin einer der vier Signatarstaaten des österreichischen Staatsvertrags von 1955, nicht mehr existiert, könnten die beginnenden Diskussionen leicht einige der prononcierten NATO-Verfechter dazu verleiten, ein altes "schlampiges Verhältnis" zu legalisieren. Noch herrschen in der Öffentlichkeit Verärgerung und Irritation über diese offensichtliche Neutralitäts- und Souveränitätsverletzung vor. Aber schon sammeln sich die Weißwäscher, die zwar die Durchführung der US-Geheimoperation bedauerlich, ihre Zielsetzung jedoch positiv finden. Die politische Konjunktur, die sich in der Bildung eines forsch auftretenden rechten Lagers manifestiert, ermöglicht es nun, die alte Legende vom "verhinderten Putsch der Kommunisten im Oktober 1950" wiederzubeleben. Die nun beginnende Diskussion wird also nicht nur maßgeblich darüber zu führen sein, wie bestimmte Kapitel der österreichischen Nachkriegsgeschichte interpretiert werden müssen. Es wird vielmehr zu klären sein, wie ernst das Bekenntnis zur Neutralität den politischen Führern des Landes war und ist.

################
Aus: /Die Linke/ Nr. 2/96 (2. Februar 1996).
Die Zeitung wird herausgegeben von der Sozialistischen Alternative (SOAL), der österreichischen Sektion der Vierten Internationale. Redaktion und Vertrieb: Postfach 395, A-1070 Wien.
Tel: 0043-1-5233578, Fax: 0043-1-5265083-4.
-------------------------------------------------------------------
Vorabdruck aus: Inprekorr 293 (Internationale Pressekorrespondenz).
Nachdruck gegen Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht.
Redaktion: Inprekorr, PLK 53003C, D-30159 Hannover
E-Mail: inprekorr@oln.comlink.apc.org
Bestellungen: Verlag Neuer Kurs, Dasselstr. 75-77, D-50674 Köln.
Einzelheft: 5 DM; Schnupperabo: Ein Vierteljahr für 10 DM.
Jahresabo: 50 DM (Inland), 25 DM (ermäßigt), E-Abo 50%.
Artikel im CL-Datennetz: /CL/MAGAZINE/INPREKORR.
-------------------------------------------------------------------




Boris.Wirtz@Informatik.Uni-Oldenburg.de , Tue Jun 25,1996